INSPEKTOR SVENSSON: WANNABE SVENSSON [Der neue Adventskalenderroman]

Die folgenden Ereignisse finden zwischen 20 und 21 Uhr am Vortag zum Heiligen Abend des Jahres 2009 nach Christi Geburt statt. Alles, was Sie lesen, ereignet sich in Koordinierter Weltzeit UTC.

23.12.2009 - 20:00 UHR

[Lukas auf dem Rückmarsch, Wannabe hat eine Eingebung]

In Svenssons Wohnung rüstete man sich zum Aufbruch. Yelena hatte nach Lukas' Weggang ihre Gäste ganz allein mit Kaffee und Kuchen bewirtet, sie mit abwechslungsreichen Geschichten aus ihrer ehemaligen russischen Heimat und dem alltäglichen Zusammenleben mit ihrem Lukas unterhalten und sich dabei als äußerst charmante Gastgeberin erwiesen. Und als von Lisa Svensson später gegen Anbruch der Dunkelheit auf ihrer Geige viele der altbekannten englischen Weihnachtslieder gespielt worden waren, hatte sie gemeinsam mit Nina, Jane und dem kleinen Luke aus voller Kehle die zugehörigen Texte gesungen. Selbst wenn ihr dabei immer mal ein paar Wörter durcheinandergeraten waren, so hatte allein ihre glasklare Stimme dennoch durchaus vermocht, den geneigten Zuhörer auf Anhieb zu verzaubern. Das war selbst der immer noch etwas geschwächten Cathrin nicht entgangen, die dem Konzert warm zugedeckt auf der Couch beigewohnt und dem bunt gemischten Chor dabei hin und wieder milde zugelächelt hatte. Am ergreifendsten aber war es für alle gewesen, als Yelena nach dem gemeinsamen Abendessen im Wohnzimmer die russische Version von "Stille Nacht" zum Besten gab. Ihr "Tichaja Notsch" ließ beim Rest der versammelten Damenriege kein Auge trocken. Und sogar der kleine Luke, der sonst kaum eine Minute still zu sitzen vermochte, lauschte dem wundervollen Gesang die ganze Zeit über andächtig und stumm. Nun allerdings neigte dieser schöne Tag seinem Ende zu. Jane wollte mit Cathrin und ihrem Luke unbedingt nach Hause. Für den Jungen war es schließlich an der Zeit schlafenzugehen, und auch Cathrin hatte nach ihrem plötzlichen Zusammenbruch ein wenig häusliche Nestwärme wohl bitternötig. Außerdem dachte Jane auch darüber nach, ihre Hausärztin Frau Dr.Kimble noch rasch zu einem Hausbesuch bei Cathrin zu bitten, bevor sich die Allgemeinmedizinerin - wie schon all die Jahre zuvor - zu den Feiertagen wieder auf der Flucht vor all dem Weinhachtstrubel irgendwo in die Weiten Irlands absetzte, wo sie dann bis zum neuen Jahr erfahrungsgemäß nicht mehr aufzuspüren war. Aber auch Nina Svensson und ihre Tochter Lisa hatten an diesem Abend noch ein paar Dinge zu erledigen. Kurzum: Mit einem Male herrschte ein riesiges Getümmel im Flur der Svenssonbehausung, wo Mäntel und Jacken, Mützen und Schals und jede Menge Handschuhe von einem zum andern durchgereicht wurden, bis schließlich außer der Hausherrin jeder der Anwesenden dick eingepackt war und damit bereit, der eiskalten Abendluft vor der Haustür entgegenzutreten. Yelena umarmte zum Abschied jeden ihrer Gäste noch einmal inniglich und öffnete ihnen dann die Wohnungstür, durch die sie nun in rascher Folge in das schummrig beleuchtete Treppenhaus traten. Die Svenssongattin selbst aber folgte ihnen noch bis zum Treppenabsatz, wo sie - übers Geländer gebeugt - zusah, wie die anderen letztlich hintereinander am unteren Treppenende durch die Haustür ihrem Blick entschwanden, wobei sie zeitgleich mit dem Zufallen der Haustür leise seufzte: "Nun also ich sein wieder ganz allein". Und aus dem menschenleeren Treppenhaus schallte es als mehrfaches Echo zurück: "Allein, allein! Allein, allein".

Weitaus weniger alleingelassen fühlte sich momentan Charles Wannabe, der im Schlafzimmer von Claudias Wohnung inzwischen in seine - ihm in Form des Inhalts der ominösen Plastiktüte leihweise überlassene - neue Kluft geschlüpft war und nun ganz in Rot mitsamt Wattebart im Weihnachtsmann-Outfit vor Claudia und seinem vierbeinigen Freund erschien. Zur Begutachtung durch sein zweiköpfiges Publikum drehte er sich dabei einmal kurz um die eigene Achse und fragte dabei mit extratiefer Stimme augenzwinkernd: "Nun, meine Lieben, wart Ihr denn auch immer schön artig, oder muß Santa Claus etwa die Rute auspacken?!". Claudia schmunzelte und war schon fast geneigt, mit einem "Ohh ja!" zu antworten, dann aber biß sie sich im letzten Moment doch noch auf die Zunge. Stattdessen ließ Vierbein seine kurze Rute aufgeregt durch die Luft wedeln, während seine kalte Hundenase die nackten Füße des fremdartig ausschauenden Mannes mit dem merkwürdig vertrauten Lavendelduft ausgiebig beschnupperte. Dann war mit einem Mal ein leises Knurren zu vernehmen. Doch das entstammte keineswegs dem kleinen schwanzwedelnden Kläffer, sondern vielmehr dem rotummantelten Bauch von Charles Wannabe, dessen nahezu leerer Magen auf diese Weise auf sich aufmerksam zu machen versuchte. Claudia bemerkte das sofort und meinte besorgt: "Meine Güte, Charles, daß ich daran nicht früher gedacht hab! Du mußt ja schrecklich hungrig sein nach allem, was Du heute so durchgemacht hast. Wäre es Dir recht, wenn ich Dich zum Abendessen einlade und uns rasch etwas bestelle?! Vielleicht eine Pizza?". Charles aber schüttelte kräftig den Kopf: "Einmal Mama Lucias Käse Spezial und dazu ein schlecht temparierter Glühwein aus dem Hause Wall Mart am Tag reicht, denke ich! Aber wenn ich einen Vorschlag machen dürfte: Wie wäre es denn mit einem kleinen Salat al Pollo und einer Brokkoli-Cremesuppe als Vorspeise und Scaloppa al Gorgonzola als Hauptgericht. Dazu ein halbtrockener Vino Rosso und eine ...". Claudia unterbrach den kulinarischen Vortrag ihres Gastes: "Eine Leiche zum Dessert?! Bei den Kalorien, die da zusammenkommen, können wir meine schlanke Figur nämlich getrost schon mal zu Grabe tragen". Charles Wannabe aber nahm besagtes Figürchen noch einmal in aller Ruhe prüfend in Augenschein und sprach dann: "Also dann, zum Dessert noch eine Tiramisu. Und was Deine geradezu traumhafte Figur angeht, da fällt mir spontan erstmal gleich ein ganz anderer Ort ein, zu dem ich sie gerne mal auf Händen tragen würde". Dabei bekamen seine Augen das, was man gemeinhin wohl als den Schlafzimmerblick zu bezeichnen pflegt. Jener Blick und die mit ihm vorgetragene Bemerkung aber überzeugten Claudia schließlich von seiner erlesenen Menüfolge. Sie hauchte Charles in seinem Weihnachtsmannkostüm einen zarten Kuß auf die Stirn. Dann griff sie sogleich in die unterste Schublade ihrer kleinen Flurkommode und holte daraus ein Faltblatt vom 'Ristorante Ti Amo' hervor, mit dem sie sich dann unverzüglich ins Wohnzimmer ans Telefon begab. Dort wählte sie die auf dem Blatt angegebene Telefonnummer und übersetzte dem jungen Anglo-Italiener am anderen Ende Charles' kompletten Menüvorschlag in die übliche Lieferatensprache: "Bitte jeweils 2x die 4, die 37, die 98 und die 185. Und als Zusatzzahl hätte ich dann gern noch die 198! Das alles prego recht pronto und ohne Gewehr an die Kundennummer 1421 zu Misses Claudia Palmer. Mille grazie im Voraus!". Damit legte sie auf und begab sich schnurstracks in die Küche, von wo aus sie dem immer noch im Flur stehenden Wannabe zurief: "Mach Du es Dir doch noch etwas im Wohnzimmer bequem, Charles! Du kannst übrigens für den Fall, daß Dir die Füße frieren, erstmal ruhig die dicken weißen Wollsocken anziehen, die auf der Flurkommode liegen. Die dürften dann auch ganz gut zu Deinem restlichen Aufzug passen, genau wie meine schwarzen Gummistiefel neben der Wohnungstür. Ich mach es uns derweil bis zum Eintreffen unseres italienischen Dinners in der Küche schon mal ein wenig gemütlich!". Und während sie eifrig mit Geschirr und Besteck zu klappern begann, schlüpfte Charles Wannabe mit seinen kalten Füßen wie empfohlen in die warmen Socken und die Stiefel.

Wenig gemütlich hatte es hingegen Henry Fist auf seinem Matrazenlager, auf dem ihm - dank diverser bereits eingetrockneter Blutflecke - das ganzes Ausmaß seines qualvollen Leidens stets allgegenwärtig war. Lou Cypher hockte - inzwischen wieder leicht bekleidet - neben ihm und strich mit seinen langen knöchernen Fingern durch das aufgewühlte Haar des 49jährigen. Dazu krächzte er leise: "Erzähl mir von früher, mein Freund! Vor allem von Deiner Arbeit und davon, wie man aus dem unter Tage abgebauten Uran 235 einen fertigen Atomsprengkopf bastelt, und das möglichst schnell und unkompliziert. Ich will einfach alles darüber wissen! Und wenn Du mir jetzt ganz brav jedes noch so kleine Detail verrätst ... wer weiß, vielleicht laß ich Dich ja dann auch wieder gehen?!. In ein paar Monaten kommt Dir das alles hier dann nur wie ein böser Albtraum vor, wie man ihn zum Beispiel zu haben pflegt, wenn man aus einem verzweifelten Hungergefühl heraus mal ein schimmliges Stück Brot verspeist hat. Du kennst das Gefühl, stimmt's? Na mach schon, Henry, zier Dich nicht so! Am Ende sagst Du mir ja doch alles, was ich wissen will - ob auf die sanfte oder aber auf die harte Tour, das ist jetzt ganz allein Deine Entscheidung!". Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, ließ Cypher den spitzen Fingernagel seines rechten Mittelfingers an Henrys Wirbelsäule langsam unter mäßigem Druck nach unten fahren und umkreiste damit schließlich mehrfach dessen linke Gesäßhälfte. Dann riß er den Finger in die Höhe und rammte ihn dem hilflosen Fist ohne Vorwarnung mit voller Wucht in den Anus. Henry Fist hatte das Gefühl, als würde ihn der spitze Nagel innerlich zerreißen. Tränen schossen ihm in die Augen, die Gesichtszüge entgleisten ihm völlig, und sein geschundener Körper bäumte sich schmerzerfüllt auf. Seinem weit aufgerissenen Mund aber entfuhr ein qualvolles: "Aufhören, um Himmels willen, aufhören! Ich sag Dir ja alles, was Du willst, Du grausame Ausgeburt der Hölle!"

Wannabe saß derweil mit Claudia bei Kerzenschein und leiser klassischer Musik zu Tisch, wo sie nun vor leeren Tellern und Gläsern - sich tief in die Augen schauend - gemeinsam auf das Eintreffen ihres bestellten Essens warteten. Einzig und allein Vierbein hockte unterm Tisch bereits vor einem vollen Teller Schabefleisch und einem danebenstehenden Napf Wasser und konnte so sein persönliches Dinner For One schon mal nach Herzenslust genießen. Um sich die Wartezeit bis zu ihrem Mahl etwas zu verkürzen, beschlossen Claudia und Charles indes einvernehmlich, ein wenig Konversation zu betreiben. Und so stellte Claudia schmunzelnd fest: "Ich hätte ja nie im Leben gedacht, daß ich einmal mit dem Weihnachtsmann ein Candlelight-Dinner haben werde! Ist alles in allem schon ein ganz schön verrückter Tag für mich, aber für Dich ja kaum weniger, oder?!". Charles nickte: "Das kannst Du aber laut sagen! Und es fing schon kurz nach Mitternacht an, noch bevor Du im Büro auftauchtest. Nichts klappte wie geplant! Erst ging die Bürotür nicht auf, dann wollte mein Laptop nicht anspringen und zu allem Übel wurde das von mir bestellte Essen auch noch an eine falsche Adresse geliefert. Stell Dir vor, dieser Booker vom Cateringservice hat es doch tatsächlich quasi ans andere Ende der Stadt gebracht! In die Jump Street Nummer 21 zu irgendsoeinem Typen namens Lou, glaub ich, der dort mit seiner Firma 'F.C.Europe' sitzt. Na sag doch mal ehrlich, das klingt doch wohl eher wie ein Fußballclub als nach einem Detektivbüro, oder?! Und so ging es dann den ganzen Tag über weiter. Es wäre schier zum Verzweifeln gewesen, gäbe es da nicht auch die ungeheuer schönen Momente mit Dir". Claudia klimperte verlegen mit ihren Wimpern, während Charles ihr noch rasch eine Kußhand zuwarf und sich dann wiederganz seinem Erlebnisbericht widmete: "In St.Pauls hab ich mir bei einem Sturz die Hose aufgerissen und später an der London Bridge hat mich dieser Flegel mit seinem Laster vollgespritzt. Eigentlich wollte ich mir den ja noch greifen, hatte mir sogar schon die Aufschrift des LKW gemerkt: F.C.E. Logistics - Cypher & Co. - London E1 ...". Wannabe stockte, dann stammelte er aufgeregt: "Aber klar doch, das ist es! Wie blind ich doch die ganze Zeit über war! - F.C.E. ist F.C.Europe, und Lou ist Cypher. also Lou Cypher ... 21 Jump Street, London E1". Charles sprang derart ruckartig von seinem Stuhl hoch, daß er dabei an den gedeckten Tisch stieß und Gläser und Kerzen auf ihm bedrohlich ins Wanken gerieten. Dabei riß er die Arme hoch und jubelte: "Mein Gott, ich hab ihn! Ich weiß jetzt, wo er steckt, dieser Lou Cypher!". Dann fiel er der sichtlich verdutzten Claudia um den Hals und drückte ihr im Überschwang seines Glücksgefühls einen leidenschaftlichen Kuß direkt auf den Mund. Claudia Palmer erstarrte. In ihrem Kopf drehte sich auf einmal alles - wie damals, wenn sie als kleines Mädchen mal wieder zu oft hintereinander Karussell gefahren war. Nur undeutlich nahm sie dabei noch wahr, daß Charles sie fragte, ob er einmal ihr Telefon benutzen dürfe und sich dann auch gleich auf den Weg ins Wohnzimmer machte. Sie hingegen schloß ihre Augen, und in ihren Gedanken erblickte sie nun - in ein zartes Rosarot getaucht - sich und Charles, umringt von ihren 4 gemeinsamen Kindern - zwei Mädchen und zwei Jungen. Er aber preßte ihren dahinschmelzenden Körper ganz fest an sich, wobei er immer wieder liebevoll ihren Namen raunte und sie mit seinen kräftigen Händen ... schüttelte?! Erschrocken schlug sie die Augen wieder auf und kehrte aus ihrem zarten Traum in die rauhe Wirklichkeit zurück. Tatsächlich, Charles hatte sie bei den Armen gepackt und schüttelte sie wie ein Wilder! Dabei rief er: "Claudia, Claudia! Es ist etwas ganz Schlimmes geschehen! Ich hab grad bei Sabrina Meltstone im Yard angerufen und wollte ihren Chef sprechen, um ihm meine spontane Erkenntnis mitzuteilen. Aber der verdammte Douglas ist gar nicht da, stattdessen hat er Henry Fist schon vor Stunden diesem Lou Cypher direkt in die Hände gespielt und dann die Spur der Beiden verloren. Ich wage mir gar nicht auszumalen, was Cypher mit dem armen Henry anstellt, falls er herausfindet, daß der ihn bei der Polizei verraten hat. Wenn Henry Fist etwas zustoßen sollte, dann könnte ich mir das nie im Leben verzeihen! Schließlich hat ihn Pauli eigens meiner Obhut anvertraut! Ich hätte ihn gar nicht erst mit diesem Windhund Douglas allein lassen dürfen! Man muß Henry Fist jetzt unbedingt schnellstens befreien und Lou Cypher stoppen! Und dazu brauch ich Deine Hilfe, Claudia! Bitte hilf mir!".

Claudia löste sich vorsichtig aus Charles' fester Umklammerung und fragte sichtlich besorgt: "Schon gut, Charles, was kann ich für Dich tun?". Wannabe aber erwiderte: "Zuerst einmal könntest Du mir Dein Handy und Dein Auto leihen, damit ich den CI7 über Cyphers Versteck informieren und anschließend noch rasch unseren Lukas vom Büro abholen kann. Wenn dieser Lou Cypher nämlich nur halb so gefährlich und gerissen ist, wie ich ihn einschätze, dann können wir bei seiner Festnahme jede Hand und jeden Kopf brauchen, besonders einen derart klugen und besonnenen wie den meines Partners!". Claudia Palmer staunte nicht schlecht. So voller Hochachtung und tiefer Bewunderung hatte Charles Wannabe zuvor noch nie von Lukas Svensson gesprochen. Ganz im Gegenteil: Sie kannte die Beiden von früher nur wie Hund und Katze. In jenem Mann aber, der nun hier vor ihr stand und in den sie sich gerade mehr und mehr zu verlieben begann, mußte in den letzten Stunden tatsächlich etwas ungeheuer Großes vorgegangen sein, was sein ganzes Wesen für immer von Grund auf verändert hatte, und ihn in ihren Augen nun nur noch attraktiver und begehrenswerter erscheinen ließ. Und so zögerte sie auch keine Sekunde lang und überreichte ihrem Charlie wortlos ihre Autoschlüssel und ihr Handy. Charles aber dankte ihr dafür mit einem weiteren leidenschaftlichen Kuß auf den Mund. Diesmal erstarrte Claudia nicht, sondern warf ihre Lippen den seinen ebenso leidenschaftlich entgegen. Und als sich ihre Münder schließlich wieder voneinander lösten, da hauchte sie leise: "Paß bitte gut auf Dich auf, ja?! Und sag mir zum Abschied noch eins: Wirst Du, wenn die Gefahr gebannt ist, die von diesem Cypher ausgeht, wieder hierher zu mir zurückkehren und uns die Chance geben, dort weiterzumachen, wo wir nun aufhören müssen?!". Charles sah sie mit großen glitzernden Augen an, dann antwortete er: "Ja, Claudia, ich denke schon! Nur muß ich zuvor noch einen längstfälligen Besuch hinter mich bringen, um dadurch endlich mit meiner Vergangenheit abschließen und mit mir selbst ins Reine kommen zu können. Erst dann bin ich wirklich frei für einen Neubeginn, auch für einen möglichen Neubeginn mit Dir, Claudia!". Er streichelte ihr noch ein letztes Mal sanft über die Wange. Dann holte er seinen klemmte er seinen tierischen Gefährten Vierbein unter dem Küchentisch hervor und nahm ihn zu sich auf den Arm. Gemeinsam liefen die Zwei aus dem Haus, wo sie sofort in Claudias Wagen hüpften und mit diesem binnen Sekunden in die Nacht entschwanden. Claudia aber, die Charles noch bis zum Auto nachgelaufen war, schaute ihm sehnsüchtig hinterher und betete dabei inständig, daß er nur gesund und unversehrt wiederkehren möge. Dabei wurde sie plötzlich von zwei hellen Scheinwerfern geblendet, die in rasendem Tempo unmittelbar auf sie zusteuerten. Erst wenige Zentimeter vor ihr stoppten jene Lichter, die - wie Claudia Palmer nun erkannte - zu einer schwarzen Corvette gehörten. Das Auto blendete ab, und aus ihm entstieg ein gutaussehender, dunkelhaariger Mann mit Lederjacke und Sonnenbrille sowie einem großen, würfelförmigen Styroporbehälter in Händen. Kaugummikauend sprach er zu Claudia: "Sagen Sie mal: Das was da eben im Auto an mir vorbeirauschte, war das nicht ein Weihnachtsmann?". Claudia Palmer aber schüttelte leise seufzend den Kopf und erwiderte: "Nein, das war keineswegs irgendein Weihnachtsmann! Das war mein Santa Charles! Die zarteste Versuchung, seit es Weihnachtsmänner gibt!". Der Mann in der Lederjacke aber zuckte nur leicht mit den Schultern: "Ok, meinetwegen! ... Sie sind nicht zufällig Signorina Palmer?! Mein Name ist Ray! Ich hab hier Ihre Bestellung vom 'Ristorante Ti Amo'! Übrigens, die geht heute ausnahmsweise auf mich! Nur werde ich dafür womöglich eines Tages zu Ihnen kommen und von Ihnen einen Gefallen einfordern! Und egal, was es auch sein mag, Sie müssen es tun!". Damit überreichte er ihr die komplette Styroporbox, rückte seine Sonnenbrille auf der Nase zurecht und verabschiedete sich mit einem kurzen "I'll be back! Hasta la vista, Baby!". Dann sprang er wieder in seinen schwarzen Flitzer, mit dem er nach einer rasanten Wendung in der Dunkelheit davonjagte.

Wesentlich langsamer entstieg Lukas Svensson unterdessen dem Ubahnzug am Bahnhof "Baker Street", von wo er sich nun wieder auf den Weg zum nahegelegenen Detektivbüro machte. Er war schon ein paar Minuten über den schneebedeckten Gehsteig gelaufen, als mit einem Male die Brustinnentasche seines Mantels auf Herzhöhe ein immer stärker werdendes Vibrieren zu verspüren begann. Entsetzt griff er sich an die bewußte Stelle, registrierte aber dann zu seiner Erleichterung, das es nur sein Handy war, was da vibrierte. Yelena hatte es ihm jüngst geschenkt, nur für den äußersten Notfall, wie sie beteuerte. Schließlich wußte sie ja nur zu gut, daß er mit diesem ganzen modernen Technikkram eher auf Kriegsfuß stand. Svensson zog das silberne Teil vorsichtig mit zwei Fingern aus seiner Manteltasche hervor und hielt es sich ans Ohr, wo es auf sein etwas unsicher hineingehauchtes "Hallo?!" erst einmal munter weiterklingelte. Lukas überlegte, was ihm Yelena bei der Übergabe des Funktelefons in aller Kürze zu dessen Benutzung beizubringen versucht hatte. Wenn es klingeln sollte, so sagte sie, müsse er erst die grüne Hörertaste drücken und dann reden! Ja genau, das war's! Wie einstmals in der Fernsehwerbung eines bekannten Wannensprays: Ohne Scheuern, ohne Bücken, einfach nur auf Knöpfchen drücken! Und so preßte Lukas den bewußten Knopf und führte das Handy erneut an sein Ohr, wo ihm sogleich aufgeregt die Stimme seines Partners Charles Wannabe entgegenschallte: "Ein Glück, daß ich Sie erreiche, Lukas! Ich hab es schon im Büro versucht, aber da ging nur unser Freund Saxi ran. Also rief ich bei Ihnen zuhause an, wo mir ihre Frau diese Nummer gab. Wo stecken Sie denn gerade?". Lukas Svensson war noch ziemlich perplex und stammelte: "Na, ich bin doch hier ... am Telefon ... äh also irgendwo auf dem Weg zwischen Ubahnstation Baker Street und unserem Büro. Wissen Sie eigentlich, daß Sie mit Ihrem Anruf gerade quasi meinen ganzen Körper zum Erzittern gebracht haben!". Am anderen Ende der Leitung war es einen Augenblick lang still, dann antwortete Charles: "Falls das eine versteckte Liebeserklärung an mich werden sollte, so müssen wir die auf später verschieben, alter Knabe. Ich weiß jetzt nämlich, wo dieser Cypher steckt. Und er hat Henry Fist in seiner Gewalt. Für längere Erklärungen bleibt mir leider im Moment keine Zeit! Bleiben Sie, wo Sie sind! Ich bin sofort bei Ihnen!". Lukas Svensson blieb noch im selben Moment mitten auf dem Gehsteig wie angewurzelt stehen und drückte nun auf die rote Hörertaste seines Handys, das er sogleich im Regenmantelinneren wieder sorgsam in Brusthöhe verstaute ...

[WIRD FORTGESETZT] -> [Zurück]