INSPEKTOR SVENSSON: WANNABE SVENSSON [Der neue Adventskalenderroman]

Die folgenden Ereignisse finden zwischen 11 und 12 Uhr am Vortag zum Heiligen Abend des Jahres 2009 nach Christi Geburt statt. Alles, was Sie lesen, ereignet sich in Koordinierter Weltzeit UTC.

23.12.2009 - 11:00 UHR

[Lukas startet in den Tag, Wannabe erkennt neue Ziele]

Um Ufer der Themse im Schatten der altehrwürdigen Towerbridge bemühten sich inzwischen ein Dutzend obdachloser Menschen mit Charles Wannabe als 13. Mann nach Leibeskräften, den schweren Planwagen auf einer Seite leicht vom Boden anzuheben und in dieser Position zu halten, während Diane und Pauli mit einem Hammer die hölzernen Wagenräder entkeilten und in aller Eile gegen eine der auf dem Wagen mitgeführten langen Schneekufen zu ersetzen. Sämtliche Kisten und Kartons hatten die Fünfzehn zuvor abgeladen und unter der Tower Bridge sicher verstaut, so daß der unaufhörlich in unverminderter Intensität niedergehende Schnee der kostbaren Fracht nichts anzuhaben vermochte. Kaum war die erste Kufe sicher angebracht, wechselte die versammelte Mannschaft auf die gegenüberliegende Wagenseite und vollführte dort noch einmal den gleichen Kraftakt. Kaum weniger schnaufend und prustend als die beiden Pferde vor dem Wagen besahen sie sich schließlich gemeinsam voller Stolz das Ergebnis ihrer Anstrengungen - aus dem Pferdewagen war binnen kürzester Zeit ein richtiger Pferdeschlitten geworden. Pauli und Diane entfernten mit ein paar Handgriffen noch rasch das Planverdeck und bedankten sich dann bei jedem einzelnen ihrer eifrigen, durchgefrorenen Helfer mit einem Kanten Brot und einem weiteren Plastikbecher heißen Tees mit Zitrone. Und wieder betete Pauli zusammen mit ihnen vor der Einnahme ihres kargen Mahls: "Gott sei Dank für Speis' und Trank! Komm, Herr Jesus, sei unser Gast und segne, was Du uns bescheret hast!". Doch das abschließende "Amen" kam diesmal weder aus seinem Munde, noch aus dem der bezaubernden Diane oder den Zwischenräumen der zähneklappernden Lippen der zwölf Obdachlosen. Aus voller Kehle und ganzen Herzen entsprang es den Lippen Charles Wannabes, der sodann - zum Erstaunen aller - noch ein "Und ein gesegnetes Weihnachtsfest uns allen hier auf Erden!" nachschob. Einen Moment herrschte tiefe, andächtige Stille - dann aber besiegelten auch die anderen jenen ernstgemeinten Wunsch mit einem kräftigen "Amen!". Gemeinsam verzehrten sie ihr hartes Brot, das Charles Wannabe in diesem Augenblick wie der köstlichste Weihnachtsbraten anmutete. Dazu ließ er sich wieder auf seinem Stein am Fuße des Brückenpfeilers nieder, schloß die Augen und atmete den herrlichen Duft des Tees ein - Pfefferminze mit Zitrone, so wie ihn ihm seine geliebte Mutter früher immer gebrüht hatte, wenn er als kleiner Junge aus der eisigen Kälte vom Rodeln oder von einer gewaltigen Schneeballschlacht zurückkehrte. Eine schmale Hand legte sich bei diesem Gedanken spürbar auf Charles Wannabes Knie, wobei sich in seinem Kopf Vergangenheit und Gegenwart zu vereinen begannen, so daß er schließlich voller Sehnsucht seufzte: "Ach, Mami!". Erschrocken riß er die Augen auf, als es nur eine Sekunde später zu seiner rechten antwortete: "Mitnichten, Alter! Oder seh ich etwa wie Deine Mami aus?". Charles Wannabe schaute zur Seite und sah dabei direkt in das Gesicht des kleinen Cedrick, der - mit einem Male nachdenklich werdend - ergänzte: "Sie fehlt Dir schon sehr, was?! Kann ich gut verstehen!". Wieder löste sich eine Träne aus Cedricks Auge, wozu der Junge schluchzend anmerkte: "Seit Du da bist, plärr ich laufend! Dank Dir werd ich noch zu 'ner richtigen Heulsuse, Alter!". Charles Wannabe aber löste eine seiner Hände vom - bis dato festumklammerten - Teebecher und strich dem Kleinen übers lockige Haar, wozu er mit feuchtglitzernden Augen flüsterte: "Weinen kann auch sehr befreiend sein, weißt Du! Meine Mutter hat immer zu mir gesagt: 'Wein ruhig! Tränen reinigen die Seele und spülen die Verbitterung von ihr fort!'. Schade nur, daß ich selbst bisher so selten davon Gebrauch gemacht hab in meinem Leben".

Während Charles Wannabe weiter den Lockenkopf des kleinen, schluchzenden Knaben kraulte, rief ihm aus einiger Entfernung Pauli zu: "Mister Wannabe! Charles, mein Sohn, wir müssen jetzt wieder los! Dürfen wir Sie vielleicht ein Stück des Wegs mitnehmen? Bei ihrem Nobelschlitten da oben ist sicher bei dem Hundewetter eh schon die Zentralverriegelung eingefroren". Charles dachte einen Moment lang nach, dann nickte er: "Da könnten Sie recht haben, Pauli. Außerdem hab ich ja auch noch immer meine Sommerreifen drauf, so daß wohl das Fahrvergnügen eh ein wenig eingeschränkt wäre. Und wer will schon am Tag vor Heiligabend am Straßenrand liegenbleiben wie der letzte Penn ...". Entsetzt hielt er inne, dann stammelte er: "Sorry, so war das nicht gemeint! Ist nur so eine Redensart. Ein blöde. Eine ganz, ganz blöde!". Vorsichtig erhob sich der - mittlerweile mehr oder weniger komplett in Lumpen gehüllte - Expolizeibeamte von seinem steinernen Sitzmöbel. Er streckte Cedrick die Hand entgegen und raunte: "Na dann, bis bald, mein Lieber! Auf Wiedersehen!". Der Junge aber schüttelte zur Verwunderung von Charles nur traurig das Kindsköpfchen hin und her: "Ist schon ok, Alter! Mußt mir nix vormachen! Aus dem Auge, aus dem Sinn! Der kleine Mohr hat seine Schuldigkeit getan, Onkel Charlie aber steigt wieder auf zu den oberen Zehntausend, wo kein Platz ist für einen wie mich! Wirst schon sehn, noch eh der Hahn morgen früh dreimal kräht, da hast Du mich und das alles hier längst wieder vergessen". Charles Wannabe aber fiel auf dem hartgefrorenen Sandboden auf die Knie, packte mit aller Macht die Hand des Jungen und rief: "So wahr ich hier hocke, ich werde weder Dich noch Deine Freunde hier noch diesen Tag jemals in meinem Leben vergessen. Im Gegenteil: Ich lade Euch alle ein! Zum Krippenspiel am Heiligen Abend in der St. Pauls Cathedral und anschließend zum großen Weihnachtsessen in meine Wohnung". Und an den jungen Cedrick gewandt, ergänzte er rasch: "Und Dich, mein Kleiner, hol ich ganz persönlich ab. Hier, genau an dieser Stelle, am morgigen Abend um 16 Uhr 45!". Die Augen des farbigen Knaben begannen zu strahlen und blinzelnd erklärte er: "Ok, alter Mann, ich nehm Dich beim Wort!". Charles Wannabe aber nahm seinen kleinen Freund noch einmal ganz fest in die Arme und verabschiedete sich dann auch bei jedem der anderen Anwesenden mit einem kräftigen, warmen Handschlag. Schließlich sprang er gemeinsam mit Pauli und Diane auf den zum Schlitten umfunktionierten Pferdewagen, der sich sogleich unter dem "Hüah!" Paulis in Bewegung setzte und nach und nach - unter dem Klang der seitlich am Wagen angebrachten Schneeglocken - aus den Augen der ihm noch lange nachwinkenden Obdachlosen entschwand.

Ähnliche Geräusche wie die Kufen des Pferdeschlittens im Schnee machte derweil auch Lukas Svensson, der mit verschlafenem Blick durch seine zwei Augenschlitze in weißem Unterhemd und rotblau gestreiften Boxershorts mit Filzpantoffeln an beiden Füßen langsam in die Küche geschlurft kam. Gähnend drückte er seiner am Backofen stehenden Yelena einen zarten Kuß auf den Hals, wobei diese innig seufzend bemerkte: "Gutes Morgen, Schatz! Du haben geschlafen gut?". Sachte vollführte Svenssons Kopf eine leichte nickende Bewegung, wozu er - nochmals gähnend - hauchte: "Aber was ich wieder für einen Blödsinn geträumt hab?! Ach egal, ich gönn mir jetzt erstmal eine warme Dusche und eine ordentliche Rasur, damit ich Dich zartes Wesen später nicht wieder überall so zersteche mit meinen Bartstoppeln". Dabei blinzelte er ihr vielversprechend zu und begab sich anschließend ins Bad. Yelena aber deckte inzwischen den großen ausziehbaren Küchentisch komplett für 7 Personen ein. Dabei schaute sie immer wieder abwechselnd auf den Truthahn im Ofen und auf die Uhr, deren kleiner Zeiger sich in ihren Augen viel zu rasch der zwölf näherte. Noch einmal überschüttete sie den herrlich duftenden Braten in seiner gutbeheizten Behausung mit all ihrer Zuwendung in Form einer extragroßen Schöpfkelle reinen Wassers. Dann band sie sich ihre - ihr von Lukas zum Nikolaustag geschenkte - Küchenschürze mit der Aufschrift "Holmes Sweet Home" um und legte sich eiligen Schrittes noch rasch zwei große Topflappen zurecht, um so in Kürze dem knusprigen Bratvogel auf den Leib zu rücken.

Weit weniger eilig waren jene Schritte, die sich derweil in einer recht heruntergekommenen Gegend Londons am Rande eines schmutzigen Hinterhofs über eine steile schwarz geteerte Treppe auf den düsteren Weg hinab in eine der feuchtkalten Kellerwohnungen machten. Es waren die dürren, spärlich umhüllten Beine Henry Fists, die dort nun zaghaft Stufe für Stufe dem dumpfen Schritt des ihm vorangehenden steifbeinigen Mannes folgten. Jenes Mannes namens Lou Cypher, dessen Worte ihm auf dem Weg hierher im schwarzen Oldtimer mit den pechschwarz verdunkelten Scheiben in den herrlichsten Farben von nunan ein sorgenfreies Leben mit allen nur erdenklichen Annehmlichkeiten ausgemalt hatten. Von einem Gehalt in Höhe von 666 Pfund wöchentlich war die Rede gewesen, zuzüglich Sonderzuwendungen und einer einmaligen Verschwiegenheitsprämie. Wo dieses vermeintliche Märchenschloß, in dem er jenem Traumjob nachgehen sollte, genau lag, hatte Henry Fist allerdings trotz aller Bemühungen nicht herauszubekommen vermocht. Durch die verdunkelten Autoscheiben war schließlich die ganze Zeit kein einziger Lichtstrahl an sein Auge gelangt. Und auch Geräusche hatte er in der scheinbar schalldicht ausgepolsterten Fahrgastzelle des - einem Leichenwagen gleichenden - Automobils des mysteriösen Herrn Cypher beim besten Willen nicht ausmachen können. Nur eines wußte Fist genau - daß sie sich wohl noch innerhalb Londons befanden und es jetzt in die Tiefe hinab ging. Der Abstieg der Beiden endete dabei zunächst vor einer dicken gebeizten Eichenholztür, die Lou Cypher mittels eines - aus seinem Anzug hervorgekramten - rostigen Schlüssels aufschloß. Knarrend und quietschend sprang ihnen die Tür entgegen und gab den Blick frei auf ein langes, verstaubtes Kellergewölbe, das - dank einer bleiverglasten Laterne an der Decke in ein unheimliches blutrotes Licht getaucht war. Cypher bat seinen Begleiter umständlich einzutreten und ließ dann hinter ihm die Tür wieder ins Schloß fallen, wobei er in selbigem unbemerkt von dem sich ängstlich umschauenden Fist den rostigen Schlüssel sogleich wieder leise umdrehte und abzog. Von hinten näherte sich der Hinkefüßige daraufhin seinem Gast und flüsterte ihm ins Ohr: "Das also ist mein kleines, bescheidenes Reich, mein Freund! Aber keine Sorge, ich habe eine gewaltige Expansion schon ins Auge gefaßt. Mit Ihrer Hilfe nun dürfte sich meine Macht weltweit geradezu explosionsartig ausdehnen". Grinsend rieb er sich seine schmutzigen Hände und verkündete: "Sie verfügen über das nötige Fachwissen, ich über das Kapital und meine Partner über die Möglichkeit, schnell und unauffällig an das benötigte Equipment zu gelangen. Unser Unternehmen nennt sich 'Final Countdown' und hat bereits auf der ganzen Welt seine Geschäftsstellen. Und der Name ist dabei gleichzeitig Programm. Ja, mein Freund, unser Ziel ist der finale Countdown - die Endzeit - das Ende der Welt. Zugegeben, es wird für die gesamte Menschheit ein Ende mit Schrecken. Aber doch lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende. Schauen Sie sich doch nur um! Was hat diese achso tolle Welt uns Menschen denn noch zu bieten außer Armut, Elend, Seuchen, Verfall, Kriegen, Mord und Totschlag. Nennen Sie Ihr Leben etwa lebenswert? Was kann es Ihnen denn noch geben? Arbeit? Wohl kaum! Eine Familie? Nein, die haben Sie längst bis in alle Ewigkeit verloren? Freunde? Sehen Sie sich doch an! Wer will Sie denn zum Freund haben, außer mir? Und darum sollten wir uns auch keinen falschen Hoffnungen mehr hingeben, uns zusammentun und gemeinsam dem ganzen Spuk hier endlich ein Ende setzen. Mit ein paar gezielten nuklearen Erstschlägen unsererseits. Keine Sorge, Ihnen wird dabei an meiner Seite natürlich nichts zustoßen! Für mich und meine Leute hab ich da nämlich längst vorgesorgt. Tief unter der Erde existiert ein Unterschlupf, zu dem todsicher keine Form von Radioaktivität jemals vorzudringen vermag". Mit dämonischem Grinsen legte Lou Cypher seine stark behaarte Pranke um die Schulter Fists und ergänzte: "Überlegen Sie doch! Mit nur einem atomaren Schlag wären Sie all Ihre Sorgen für immer los. Und Sie könnten es noch dazu endlich einmal allen heimzahlen, die Sie bislang schief angesehen, beleidigt, beschimpft und wie den letzten Dreck behandelt haben - dem eingebildeten Lackaffen von Jobagent vom Sozialamt zum Beispiel. Und nicht zuletzt würden Sie mit mir gemeinsam in die Geschichte eingehen. Na, ist das vielleicht nichts?!".

Henry Fist grübelte. Wie oft hatte er sich das schon ausgemalt, es diesen hochnäsigen Zeitgenossen, die nur Spott und Hohn für ihn übrig hatten und ihn als Penner betitelten, einmal so richtig zu zeigen. Und jetzt gab ihm dieser Fremde die Gelegenheit dazu. Es war geradezu so, als könne der hinkende Mann all seine düsteren Gedanken erraten. Ja, die Idee war schon irgendwie verlockend. Schließlich hatte er ja nichts mehr zu verlieren. So krank der Vorschlag Cyphers im ersten Moment auch geklungen haben mochte, es war doch immerhin eine Option. Eine, die Lou Cypher und ihn quasi von einer Sekunde auf die andere zu Herrschern der Welt machen würde. Und so meinte er schließlich ein wenig zögerlich: "Ja, das alles klingt aus Ihrem Mund irgendwo sehr einleuchtend und durchdacht. Aber könnte ich mir vielleicht für meine endgültige Entscheidung noch ein wenig Bedenkzeit ausbitten?". Cypher betrachtete Fist etwas argwöhnisch mit verbissenem Blick, dann sprach er: "Also gut, warum nicht?! Nur warten Sie nicht zu lange, es gibt auch noch andere, denen ich dieses attraktive Angebot machen kann. Ich geb Ihnen, sagen wir, ein paar Stunden Bedenkzeit. Dann möchte ich Ihre Antwort wissen! Vielleicht gönnen Sie sich derweil einen kleinen Spaziergang im Hyde Park, so wie Sie es ja auch sonst zu tun pflegen, wenn Sie einmal ungestört grübeln wollen?!". Henry Fist sah sein Gegenüber mit großen Augen an. Woher wußte dieser verfluchte Teufelskerl nur soviel über seine Gepflogenheiten? Schließlich nickte er - von dem Auftreten des Hinkenden sichtlich eingeschüchtert - nur stumm, worauf Lou Cypher triumphierend ausrief: "Na dann, kommen Sie mal! Ich bringe Sie mit meinem Wagen noch bis zum Eingang des Parks, wo ich Sie dann um Punkt 17 Uhr auch wiederzutreffen gedenke. Und bis dahin: Zu keinem Menschen auch nur ein Sterbenswörtchen, sonst wird es Ihnen schlecht ergehen. Ich habe nämlich ein Auge auf Sie und werde Sie finden, egal, wo auch immer Sie sich aufhalten mögen!". Sprachs und machte sich dumpfen Schrittes mit seinem nachdenklichen Gast in Richtung der verschlossenen Holztür auf. Dort öffnete er sogleich das Schloß mit einer einzigen schwungvollen Bewegung des passenden Schlüssels und hinkte - dem sprachlosen Fist voran - die vielen dunklen Stufen zum Hinterhof hinauf, wo die beiden Männer alsdann wieder in dem schwarzen Oldtimer platznahmen und mit geradezu höllischem Tempo davonbrausten.

Deutlich langsamer und in angenehmerer Gesellschaft war derweil Charles Wannabe auf dem Pferdeschlitten unterwegs. Dabei hatte der frischgebackene Detektiv während der ganzen Fahrt mit Pauli und Diane über seinen Fall geredet und kramte nun gerade sein Smartphone aus der Hosentasche hervor, auf dem inzwischen 6 Anrufe in Abwesenheit angezeigt wurden. Vermutlich lag der untere Teil der London Bridge komplett in einem Funkloch, erklärte sich der Kriminalist diesen Zustand und wählte mit der Rückruftaste sogleich die angezeigte Nummer, die bei allen Anrufen gleich war. Am anderen Ende aber meldete sich nur eine Sekunde später das besorgt klingende, zarte Stimmchen Claudia Palmers: "Gott sei Dank, Charles, du lebst! Ich hatte mir schon solche Gedanken gemacht. Wo warst Du denn? Du ahnst ja gar nicht, was sich inzwischen alles an Erkenntnissen zu unserem Fall bei mir angesammelt hat. Also mal der Reihe nach: Dieser Alfred von 'Hitch & Cock' ist ausgebildeter Krankenpfleger und seit einiger Zeit ausschließlich mit der Betreuung von Hudson Butler, wohnhaft am Eaton Place Nummer 165 betraut, welcher an Parkinson - einer langsam schubweise voranschreitenden, nervlich bedingten Schüttellähmung - leidet. Allerdings ist der gute Alfred Robber - wie er bürgerlichem Namen heißt - wenn man mal seine Vergangenheit durchleuchtet, kein unbeschriebenes Blatt. Von 1997 bis 2001 ließ sich der junge Mann sogar selbst pflegen, und zwar auf Staatskosten im Knast, wo er eine Haftstrafe wegen schweren Kunstraubs verbüßte. Und bei dem mysteriösen Ableben eines Schwerstpflegefalles, den er vor Mister Butler betreute, sind laut Angaben der Polizei noch einige Fragen offen, auch wenn damals kein Fremdverschulden nachgewiesen werden konnte. Und dann ist da auch noch eine ganz andere heiße Spur, auf die ich zufällig beim Bildergoogeln im Netz gestoßen bin. Es gibt da nämlich die Homepage eines dubiosen Kunstsammlers namens Leon Ardo, der geradezu besessen zu sein scheint von dem Gedanken, sämtliche Apostelfiguren Großbrittaniens besitzen zu wollen. Allein von der verschwundenen Paulusfigur gibt es auf seiner Seite 241 verschiedene Bilder zu finden. Seine Adresse hab ich Dir übrigens soeben per Mail auf Dein Handy geschickt!". Wannabe warf einen Blick auf sein Smartphonedisplay, wo in leuchtender Schrift eine neue Email-Nachricht angezeigt wurde. Dann hauchte er in den Hörer: "Ach Claudia, es tut so gut, Deine Stimme wiederzuhören! Du ahnst ja gar nicht, wie sehr ich sie schon vermißt hab. Wie sehr ich das alles vermißt hab. Dich, unser Büro, mein trautes Heim, meinen Kamin, trockene Kleidung, ein Gläschen Wein, leise Musik, ein heißes Bad, ja sogar den alten Luk ... Ach, was red ich! Wir sprechen später, wenn ich wieder im Büro bin, ja?! ... Ganz lieben Dank erstmal für Deine Bemühungen! Ich mache mich gleich auf den Weg zu diesem Herrn Ardo in ...". Ein paar kurze Berührungen seiner Finger auf dem Display seines Smartphones verschafften ihm im Nu die zugehörige Adresse: "... 24 Hyde Park Street". Mit einem glückseligen "Bis später, bella donna!" beendete er das Telefonat mit Claudia und tippte Pauli auf dem Kutschbock vor sich auf die Schulter, wobei er noch einmal mit fragendem Blick die Anschrift Leon Ardos wiederholte. Pauli aber nickte nur und sprach: "Oh, welch ein Zufall! Genau da wollte ich später sowieso noch hin!". Dann riß er die Zügel seines Schlittens fest an sich und bewirkte damit eine recht deutliche Kursänderung in Richtung des zentral gelegenen Hyde Park ...

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