INSPEKTOR SVENSSON: WANNABE SVENSSON [Der neue Adventskalenderroman]

Die folgenden Ereignisse finden zwischen 7 und 8 Uhr am Vortag zum Heiligen Abend des Jahres 2009 nach Christi Geburt statt. Alles, was Sie lesen, ereignet sich in Koordinierter Weltzeit UTC.

23.12.2009 - 07:00 UHR

[Lukas erhält Zugang zu einer traumhaften Vision, Wannabe verschafft sich einen überflüssigen Abgang]

Der Nieselregen hatte endlich aufgehört, und an seiner Stelle war die Dämmerung nun über London hereingebrochen. Die ersten schwachen Sonnenstrahlen beschienen den Prachtbau jenes fünfstöckigen Stadthauses am Eaton Place Nummer 165, vor dem Wannabes roter Ferrari eben gerade zum Stehen gekommen war. Die Hausnummer hatte der Exkriminalist durch einen weiteren Anruf im Büro bei Claudia in Erfahrung gebracht. Er selbst stand jetzt bereits direkt vor der gigantisch erscheinenden Haustür und betätigte zum wiederholten Male den Türklopfer, als von drinnen plötzlich Schritte näherzukommen schienen. Die Tür wurde geöffnet, und in ihrem Rahmen erschien ein Mann von etwa 30 Jahren im Frack, der verschlafen fragte: "Sie wünschen bitte?!". Wannabe räusperte sich und sagte dann mit fester Stimme: "Mein Name ist Charles Wannabe von der Privatdetektei 'Wannabe Svensson', Ermittlungen aller Art. Ich würde Mister Butler gern zur Klärung eines wichtigen Sachverhalts sprechen. Wenn Sie mich Ihrem Herrn bitte melden würden?!". Der Frackträger schaute ein wenig verdutzt: "Meinem was?!". Wannabe haßte Wiederholungen, aber hier sah er sich doch zu einer solchen genötigt, denn offensichtlich war nicht nur er, sondern wohl auch dieser Hausangestellte auf den Kopf gefallen. Und so sprach er erneut: "Ihrem Herrn, Mister Hudson Butler! Der wohnt doch hier, oder?!". Der Mann im Frack nickte: "Ja, der wohnt hier. Treten Sie doch bitte näher! Herr Butler befindet sich derzeit noch im Schlafgemach, ich hole ihn! Wenn Sie solange ablegen und schon mal im kleinen Salon warten möchten?!". Dabei vollführte der Arm des Mannes wie in Zeitlupe eine großzügig einladende Handbewegung, welche Charles sofort dazu nutzte, ihm seinen rasch ausgezogenen Mantel überzuwerfen. Wieder schaute der Frackträger ein wenig verwundert, was aber Wannabe, der schon auf dem Weg in den ihm zugewiesenen Warteraum war, nicht mehr registrierte. Der Mann im Frack warf den Mantel des Besuchers über den Kleiderständer neben der Eingangstür und begab sich dann würdevollen Schrittes die lange Treppe zum Obergeschoß hinauf. Auf der Hälfte der Stufen stoppte er kurzzeitig seinen Schritt und rief - mit einem Blick nach unten: "Ach Sir Wannabe, wenn Sie in der Zwischenzeit einen Tee trinken möchten, bedienen Sie sich ruhig selbst auf dem kleinen gläsernen Beistelltisch". Damit setzte er seinen Aufstieg in aller Ruhe fort, während Charles sich in den großzügigen vier Wänden des durchaus gar nicht so kleinen Salons umsah. Den besagten Beistelltisch hatte er rasch entdeckt. Und tatsächlich stand darauf ein einsames schlichtes Trinkglas, gefüllt mit einer gelblichen Flüssigkeit. Das mußte dann wohl der Tee sein. Charles hatte zwar in einem solchen Haus eher ein silbernes Tablett mit einem ebensolchen Kännchen, dazu ein edles Porzelantässchen und eine prunkvolle Zuckerdose erwartet, aber da ihm vom Sturz noch immer der Schädel gehörig brummte, ergriff er die willkommene Gelegenheit und mit ihr das zu drei Vierteln gefüllte Glas und holte aus seiner Anzugjacke die zweite Kopfschmerztablette hervor. Er stopfte sie in den Mund und trank einen Schluck des bereitgestellten Heißgetränks nach. Gut, von einem Heißgetränk konnte man auch nicht so recht sprechen, denn was Charles Wannabe da jetzt schlückchenweise die Kehle herunterlief, war eher lauwarm. Vermutlich war der Tee doch schon etwas abgestanden, was dann unter Umständen auch seinen eigentümlich bitteren Nachgeschmack zu erklären vermochte. Charles leerte den Rest des Glases in einem Zug, und schüttelte sich dann am ganzen Körper. Bestimmt so eine neumodische Teesorte aus Übersee. Das würde einem als Brite dann endlich auch mal einen guten Grund liefern, warum die Amis anno 1773 solche Unmengen Tee ins Bostoner Hafenbecken verklappten. Mehr Zeit, um über die Ursachen und etwaige Auswirkungen jenes bitteren Teebeigeschmacks zu spekulieren, blieb Charles Wannabe allerdings nicht. Rasch stellte er das leere Glas wieder beiseite, denn von der Treppe her näherten sich bedächtige Schritte.

Wenige Augenblicke später erschienen vor Wannabe der ihm schon bekannte Frackmensch und ein vollbärtiger Mann fortgeschrittenen Alters im Morgenrock. Der Bärtige reichte Charles Wannabe die Hand und sprach: "Hudson Butler, Sir! Und das zu meiner Rechten ist mein Freund und Mitbewohner Alfred". Auch der Frackträger reichte dem Exchefinspektor die Hand und ergänzte: "Angenehm, Sir Wannabe! Alfred, Alfred von ..." Der Händedruck Wannabes wurde mit einem Male deutlich fester, und sichtlich beeindruckt bemerkte er: "Ah, ein Von! Dann sind Sie wohl hier der adlige Herr. Entschuldigen Sie bitte das peinliche Mißverständnis!". Lachend schüttelte der junge Mann seinen Kopf: "Nein, Sir, keiner von uns hat blaues Blut. Was ich sagen wollte, ist: Ich bin Alfred von 'Hitch & Cock", einer Agentur für ... nun ja, sagen wir mal ganz besondere Dienstleistungen. Ist ja irre, daß sie mich für einen Butler hielten und meinen Freund für einen hohen Herren, wo doch er der Butler ist - also zumindest von Namen her. Ansonsten gibt es hier in unserem prunkvollen Haus am Eaton Place schon lang keine Standesunterschiede mehr. Das war früher der Fall, als hier noch die Familie Bellamy mitsamt ihrer zahlreichen Dienerschaft lebte. Da ging es den ganzen Tag treppauf, treppab. Aber die Zeiten sind vorbei! Was nun meinen Beruf oder besser gesagt meine Berufung angeht, so bin ich sozusagen Hobbyornithologe. Ich vertreibe mir meine Zeit also hauptsächlich mit jeder Art von Vögeln, wobei mich die Männchen stets deutlich stärker interessieren und anzuziehen vermögen als die Weibchen. Das starke Geschlecht ist da einfach prachtvoller und glamouröser, nicht so schlicht und gewöhnlich wie das weibliche, wissen Sie. Ich bin immer wieder ganz aus dem Häuschen, wenn ich mal so ein richtiges maskulines Prachtexemplar vor meine Flinte bekomme. Dann fackel ich auch gar nicht lange. Ruckzuck ist das Männchen flachgelegt und nach allen Regeln der Kunst von mir ausgestopft. Nicht wahr, mein Guter?!". Die Hand Alfreds legte sich dabei um die Taille seines Mitbewohners, der zaghaft zu nicken begann. Charles Wannabe war nach den ausschweifenden Ausführungen der etwas nasal klingenden, hohen Stimme dieses Herrn Alfred etwas perplex. Und so brauchte er einen Moment, um sich zu fangen, bevor er zum eigentlichen Sinn seines Besuchs kam: "Nun ja, wie dem auch sei! Ich bin jedenfalls auf der Suche nach der von Ihnen, Mister Butler, einst im königlichen Auftrag gefertigten Paulusstatue, die Lady Diana und ihr Prinzgemahl anläßlich ihrer Trauung der Saint Pauls Cathedral schenkten". Hudson Butler wirkte mit einem Male sichtlich nervös, er begann von einer Sekunde auf die andere am ganzen Körper zu zittern und zu zucken, während er fragte: "Mein Paulus?! Was ist denn mit ihm?". Wannabes Augen blieben an dem immer unruhiger werdenden Mann haften, während er erklärte: "Er ist spurlos verschwunden, und zwar gestern abend. Und nun ist die Frage, wer ihn weggenommen hat. Können Sie mir das vielleicht sagen?! Sie waren doch gestern spätabends noch in der Kirche". Butlers Hände begannen, so stark zu zittern, daß er sie mehr und mehr ineinander verkrallten mußte, allein um nach außen hin seine große innere Unruhe nicht allzu offen zur Schau zu stellen: "Ja, ich war dort gestern abend! Mich plagen momentan große Sorgen und Zukunftsängste, und die wollte ich nun im Gebet vor Gott bringen, wissen Sie! Aber als ich ging, da war mein Paulus noch da, das müssen Sie mir glauben! Ich hab ja sogar noch ein Foto von ihm gemacht mit meiner Sofortbildkamera. Ich hab es auf dem Nachtschrank neben dem Doppelbett in meinem Schlafzimmer". Und hilfesuchend mit einer ausschweifenden Kopfbewegung seinen Mitbewohner anblickend, ergänzte er: "Holst Du es bitte mal runter? Du findest es ganz leicht, kennst Dich ja da oben aus". Alfred entschwand schnellen Schrittes, während sich der ältere der beiden Hausbewohner schluchzend wieder seinem Gast zuwendete: "Bitte, Sie müssen ihn unbedingt wiederfinden, er bedeutet mir ja so viel!". Tränen rannen ihm übers ganze Gesicht, das inzwischen auch von einem wilden Zucken befallen war und das er nun rasch in seinen zitternden Händen verbarg. Mitbewohner Alfred kehrte im selben Moment ziemlich außer Atem mit der bewußten Fotografie zurück und überreichte sie Wannabe. Gleichzeitig aber legte er seinen Arm um die Schulter seines Freundes und sprach dann zu dem Ex-Yard-Chef: "Ich glaube, es ist besser, wenn Sie jetzt gehen. Ich begleitete Sie noch zur Tür". Mit diesen Worten führte er Hudson Butler zu einem der großen Lehnsessel am Kamin im entgegengesetzten Teil des Salons, wo er ihn behutsam platzierte, sacht über seine Hände streichelte und ihn dann mit einer bereitliegenden warmen Wolldecke liebevoll zudeckte. All dies beobachtete Charles Wannabe argwöhnisch aus dem Augenwinkel heraus, während er die Sekunden des Unbeobachtetseins nutzte, um sein Smartphone aus der Hose zu ziehen und sich mit der eingebauten Kamera endlich selbst ein Bild von der Figur jenes sagenhaften Paulus zu machen. Kaum hatte er das Handy wieder in seiner Hose verstaut, kehrte auch schon der junge Mann zu ihm zurück, ließ sich die Fotografie wiedergeben und steckte sie sich in die Brusttasche seines Fracks. Anschließend geleitete er den Exkriminalisten in den Flur.

Dort angelangt, half Jüngling Alfred seinem Gast ohne Umschweife in dessen Mantel und flüsterte ihm dabei ins Ohr: "Sie wundern sich sicher über das ungewöhnliche Verhalten meines Freundes, oder?! Nun ja, Sie wissen noch nicht alles, unser Verhältnis zueinander ist nämlich ein sehr besonderes". Dabei trat er um Wannabe herum und begann - unmittelbar vor ihm stehend - die Knöpfe von dessen Mantel von oben nach unten langsam zuzuknöpfen. Als er dabei am untersten Knopf in Nähe des Hosenbundes angelagt war, hielt er inne und raunte: "Das, was ich hier für Sie tue, das tu ich für meinen Freund nämlich auch. Das und noch viel mehr, jahrelang schon. Er redet ja nicht gern darüber, aber er hat meine permanente Anwesenheit nunmal nötig. Darum bezahlt er mich auch für meine speziellen Dienste. Ich kann mich Ihnen leider jetzt nicht länger widmen, aber ich steh Ihnen gern später bei passenderer Gelegenheit einmal unter vier Augen zur Verfügung. Rufen Sie mich doch einfach einmal an, in den Abendstunden vielleicht. Zur Nacht nimmt Hudson ja immer ein recht starkes Schlafmittel, und wir zwei beide wären hier unten ganz ungestört. Sie verstehen?!". Charles Wannabe glaubte, recht genau zu verstehen. Er wich ruckartig einen großen Schritt zurück, um so dem Zugriff des jungen Burschen zu entgehen und krächzte: "Mein lieber Herr! Was Sie und Ihr spezieller Freund so alles treiben, wenn ich nicht dabei bin, ist ganz allein Ihre Sache. Aber ich will darüber ganz sicher nicht mehr hören, als ich jetzt schon von Ihnen gehört habe. Und was das Verschwinden der Holzfigur angeht, so sprechen Ihr Freund Butler und ich uns sicher noch einmal. Ich komme wieder! Jetzt aber muß ich gehen! Guten Tag!". Mit diesen Worten flüchtete sich Charles Wannabe regelrecht zur Haustür. Und während er durch sie hindurch - die Vortreppe des Hauses hinab - eiligen Schrittes zu seinem Wagen lief, erreichte ihn nochmals der nasale Nachruf Alfreds: "Ach Sir Wannabe, Ihr Hintern ...". Wannabe glaubte, seinen Ohren nicht zu trauen. Da hörte sich doch wahrlich alles auf! In aller Öffentlichkeit gaffte ihm dieser Perversling auf das Gesäß und tat das wie selbstverständlich auch noch lautstark kund. Ruckartig drehte sich der empörte Ex-Yardchef um und brüllte den Jüngling im Frack an: "Mein Hintern geht Sie einen Dreck an! Belästigen Sie mich gefälligst nicht länger! Ich bin nicht schwul!". Entrüstet bestieg er seinen Ferrari und sauste vondannen. Dabei bediente er sich mit einem gekonnten Handgriff der Freisprecheinrichtung seines Smartphones und wählte über Kurzwahl die bereits auf der Fahrt zur Kirche eingegebene private Handynummer Claudias an. Am anderen Ende meldete sich eine Sekunde später die liebliche Stimme der anmutigen Sekretärin, und Wannabe hauchte, den Verkehr jederzeit fest im Blick behaltend: "Hallo, Claudia! Ich war jetzt bei diesem Mister Hudson Butler am Eaton Place 165. Mit dem stimmt was nicht, der hatte sich während meiner Befragung auf einmal überhaupt nicht mehr im Griff. Das ist eh ein komischer Kauz - ebenso wie sein Mitbewohner, der ganz offenkundig vom andern Ufer ist. Stell Dir nur vor, am Ende hat mir dieses Ekel namens Alfred von einer gewissen Agentur 'Hitch & Cock' sogar noch auf den ... ach egal! Versuch auf alle Fälle mal, dieses seltsame Paar und seine Männerwirtschaft mithilfe des Internets weiter zu durchleuchten. Das Einzige, was mir der Besuch bei Butler sonst gebracht hat, ist ein Schnappschuß vom verschwundenen hölzernen Paulus. Den schick ich Dir auch gleich wieder als Emailanhang aufs Handy, sobald ich bei der London Bridge angekommen bin, wo ich diese Penner treffe, die ebenfalls zur Tatzeit in der Kirche waren. Ich hoffe, dieser ungewöhnliche Außentermin bringt mich endlich weiter in meinen Ermittlungen, nicht daß ich am Ende später bei der Rückkehr Svenssons gänzlich mit leeren Händen dastehe".

Lukas Svensson dachte in diesem Moment überhaupt nicht an Rückkehr. Er schnarchte - gerade eben erst eingeschlafen - unter seiner Bettdecke, die Hände schlaff auf Yelenas warmen Pobacken liegend und träumte von deiner bärtigen Holzfigur, die mit seinem neuen Partner Charles - dessen Augen verbunden waren - händchenhaltend um ein Feuer herumtanzte. Um die Beiden herum standen die drei Pfarrer Baptist, Shepherd und Grave, allesamt in schneeweiße Gardinen gehüllt und klatschten Beifall. Wannabe aber lallte immer wieder aufgeregt: "Wo bist Du, Holzkasper?". Und sein hölzerner Tanzpartner erwiderte mit tiefer Stimme: "Die Antwort auf diese Frage ist Dir vielleicht viel näher als Du glaubst! Du mußt nur die Augen auftun, schon wirst Du's erkennen!". Dann trat wie aus dem Nichts ein kleiner dunkelhäutiger Junge an die beiden Männer heran und riß Charles Wannabe mit einem Ruck die Binde von den Augen. Wannabe aber fiel noch im selben Moment zu Boden, wo seine Hülle reglos liegen blieb, während sich rund um ihn herum in alle Himmelsrichtungen ein grelles blendendes Licht ausbreitete. Für einen Moment lang war alles still, selbst Lukas Svenssons schnarchender Atem stockte ein paar Sekunden lang. Dann aber drang aus der Traumwelt eine Männerstimme an sein Ohr, die leise "I Saw The Light" sang. Und Lukas Svensson, der dieses traumhafte Licht - in welchem schemenhaft auch immer wieder das verzückte Antlitz Charles Wannabes aufzutauchen schien - nun ebenfalls die ganze Zeit über vor seinem geistigen Auge aufleuchten sah, drückte seine Nase tief in die Haare seiner neben ihm liegenden Yelena und sog ihren herrlichen Pfirsichduft bei jedem Atemzug tief in sich ein. Sein Gesicht überkam dabei ein seliges Lächeln, und die Fingerspitzen seiner Hände wanderten von der Poebene seiner Herzensdame aus an im zarten Körper langsam immer weiter nach vorn.

Im Haus am Eaton Place Nummer war der fracktragende Alfred derweil in den kleinen Salon zurückgewandert, nachdem er die Haustür schulterzuckend hinter sich ins Schloß fallen gelassen hatte. In Gedanken war er immer noch bei dem überstürzten Abgang Wannabes und dessen letzten Worten. Nicht schwul?! Was sollte das denn? Wer war denn hier schwul?! Er wollte den guten Mann mit der Bemerkung über dessen Hintern doch einzig und allein dezent darauf hinweisen, daß seine Hose am Gesäß einen riesigen Dreiangel hatte. Und das war doch wirklich kein Grund, gleich so auszurasten und einen in aller Öffentlichkeit so anzubrüllen, oder?! Er wischte den Gedanken rasch beiseite und widmete sich - beim Kamin angelangt - nun lieber wieder seinem zitternden Freund Hudson Butler, dem er eine Tablette aus einer Schatulle auf dem Kamin in den Mund steckte und sprach: "Meine Güte, Hudson, so einen starken Parkinsonschub wie eben hattest Du ja schon lang nicht mehr. Ich ruf gleich Doktor Riverside an, damit er zu einem Hausbesuch vorbeikommt". Hudson Butler wackelte ausschweifend mit dem Kopf hin und her: "Mein Gott, mein Paulus! Ich war doch so stolz auf ihn. Sein Gesicht und seine ganze Erscheinung hatten immer so etwas Lebendiges an sich. Und jetzt, wo meine zittrigen Hände nichts Vernünftiges mehr zustande bringen, war er eh das Wertvollste in meinem Leben. Er sollte mein Vermächtnis an die Nachwelt sein, wenns mich mal nicht mehr gibt. Und nun ist er gestohlen worden! Und das vermutlich, kurz nachdem wir Zwei gestern abend die Kathedrale verlassen hatten. Daß wir aber auch rein gar nichts bemerkt haben von einem möglichen Täter?! Nicht einmal Du, als Du noch einmal allein zurückgingst, um Deinen vergessenen Schal zu holen. Wie schrecklich ...". Alfred nickte nachdenklich: "Ja, das ist in der Tat sehr bitter. Zumal man ja auch bedenken muß, daß der Paulus im Falle Deines Ablebens noch eine immense Wertsteigerung erfahren wird. Wer auch immer ihn weggenommen hat, ist dann wohl am Ende ein reicher Mann". Dabei rieb er sich verstohlen die Hände und verkündete: "Ich glaube, es wird langsam ein wenig kühl hier. Ich leg mal rasch noch ein paar Holzscheite im Kamin nach". Eifrig warf er ein paar Stücken des neben dem Kamin bereitliegenden Holzes in die Flammen, die die ihm dargebotenen Scheite sogleich mit Feuereifer und glühender Leidenschaft verzehrten. Im Rücken des stets dienstbereiten Jünglings aber fragte Hudson Butler mit leiser Stimme: "Gießt Du mir zum Herunterspülen meiner Pille bitte eine Tasse Tee ein, Alfred?!". Der junge Mann nickte und schaute sich um. Zu seinem Erstaunen entdeckte er das silberne Tablett mit der Porzellan-Teekanne und den beiden zugehörigen Tassen direkt neben dem Kamin auf dem Mahagonischreibtisch. Und während er seinem Freund das Getränk einschenkte und reichte, fragte er: "War der Tee nicht vorhin noch auf dem Beistelltisch im Eingangsbereich des Salons? Hast Du das Tablett etwa hier herüber gestellt?". Hudson Butler mußte angestrengt nachdenken, und so kam seine Antwort ein wenig zögerlich: "Ja, ich glaube schon. Vermutlich, als ich vorhin bei meinem Gang aufs WC kurz hier unten war. Ich dachte wohl, am Kamin bliebe der Tee länger warm. So hält er sich jetzt vielleicht sogar noch bis der Doc vorbeikommt. Ruf ihn doch bitte gleich an! Und wenn er dann da ist, dann kannst Du ihm auch gleich meine Urinprobe mitgeben, die steht noch da drüben". Alfred folgte mit langsamen Schritten dem Fingerzeig seines Mitbewohners und kehrte schließlich mit erstauntem Gesicht wieder zu ihm zurück. Dabei hielt er ein leeres gläsernes Gefäß in der Hand und erkundigte sich: "Meinst Du das hier? Aber da ist doch gar nichts drin!". Das ganzkörperliche Zucken Hudson Butlers verstärkte sich im Schulterbereich noch ein wenig, wozu er äußerte: "Mmh, merkwürdig, kann doch noch nicht verdunstet sein in so kurzer Zeit. Na egal, da muß ich eben gleich nochmal ran! Würdest Du mich zu den entsprechenden Örtlichkeiten begleiten!". Und während ihn sein unheimlich hilfsbreiter Freund Alfred unterhakte, sprach Hudson Butler dankbar: "Ach, wenn ich Dich nicht hätte. Deine aufopfernde Pflege ist echt all ihr Geld wert. Jeden einzelnen Penny" ...

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